Mariano Rughi
Meine Bekehrung vom römisch-katholischen Glauben zu Christus geschah nicht von einem Moment auf den anderen, sondern war das Resultat eines langen, sich über mehrere Jahre erstreckenden, schmerzhaften Prozesses. Er begann, als ich Priesterstudent in Assisi, Italien, war. Eines Tages sprach mein Professor für Kirchengeschichte über Papst Honorius I (626-638 n. Chr.). Dieser Papst war einer von den vielen, die, wie die Kirche selbst sagt, Irrtümer vertraten. Er hatte sich in die Kontroverse um den Monotheletismus verwickelt und sich auf die Seite derer gestellt, welche sagten, Christus habe nur einen Willen gehabt, seinen eigenen. Dies steht jedoch der biblischen Lehre entgegen, welche besagt, dass Christus vollkommen Gott und vollkommen Mensch war und deshalb einen göttlichen und einen menschlichen Willen hatte. Im 3. Konzil von Konstantinopel wurde die monotheletistische Irrlehre – und damit auch die Ansicht von Papst Honorius I – verurteilt.
Die Tatsache, dass die römische Kirche selbst zugab, dass Papst Honorius I falschen Lehren anhing, erschütterte mich bis ins Tiefste. Hatte doch das Vatikanische Konzil von 1870 das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit beschlossen, wonach der Papst immer dann unfehlbar ist, wenn er ‚in höchster Lehrgewalt’ (ex cathedra) in Glaubensund Sittenlehren entscheidet. Ich hatte auch gelernt, dass die Väter des Konzils von 1870 ausdrücklich festhielten, dass sich dieses Dogma, obwohl erst gerade formuliert, auf alle Päpste von Petrus bis zu dem damaligen Papst Pius IX bezog. Sie alle waren demnach unfehlbar gewesen, von Gott inspiriert und durch die gleiche göttliche Leitung Papst geworden.
Ich fühlte mich gedrängt, die Frage zu stellen, wie es denn möglich sei, dass eine Glaubensüberzeugung von Papst Honorius I im Widerspruch zur offiziellen Lehre der Kirche stehen konnte. Der Professor antwortete, als Papst Honorius I diese falsche Lehre vertreten habe, hätte er es nicht ex cathedra als Papst getan, sondern als privater Theologe.
Rom bietet keine Gewissheit
In dem Seminar, in dem ich lebte, herrschten keine strengen klösterlichen Regeln, ein gewisses Mass an Bussübungen und Selbstverleugnung war jedoch auch uns vorgeschrieben. Dazu gehörten Fastenzeiten, Enthaltsamkeit, regelmässiges Beichten, Meditationen und die Teilnahme an religiösen Festen. Aber auch wenn wir all dies einhielten, sagte man uns, könnten wir niemals sicher sein, ob Gott uns in der Ewigkeit annehmen werde. In einem ihrer Dogmen erklärt nämlich die katholische Kirche jeden für garantiert verloren, der behauptet, die Gewissheit ewiger Errettung zu besitzen.
In der Zweifelsburg
Einmal mehr merkte ich, dass die Kirche sich selbst widersprach, aber lange Zeit wagte ich nicht, mit jemandem darüber zu sprechen und kämpfte gegen meine eigenen Zweifel an. Eines Tages war ich jedoch so sehr darüber beunruhigt, dass ich meinem Beichtvater davon erzählte. Seine Antwort war kurz und bündig: „Mein Junge, diese Gedanken sind nur Versuchungen des Teufels.“
War das nicht eine Verdrehung der Wahrheit, wenn er meine Überlegungen, die ich als vom Heiligen Geist gewirkt empfand, dem Wirken des Teufels zuschrieb? Um zu beweisen, dass meine Zweifel eine berechtigte Grundlage hatten, las ich ihm die Stelle im Johannesevangelium 3,16 vor, was eine strenge Zurechtweisung im Hinblick auf Demut und blinden Gehorsam gegenüber der Kirche zur Folge hatte. Wohlgemerkt, von mir wurde nicht etwa Gehorsam gegenüber dem Herrn Jesus Christus, sondern gegenüber der Kirche gefordert.
Der Beichtstuhl
Damals ging ich bereits nicht mehr regelmässig zur Beichte. Ich war nie besonders gern beichten gegangen und tat es mehr auf äusseren Druck, als auf ein inneres Verlangen hin. Manchmal war mir die Beichte eine echte Last, eine Art Folterkammer für mein Gewissen.
Ich betone diesen Punkt, denn die römisch-katholische Kirche verteidigt die Beichtpraxis unter anderem mit dem Argument, dass es dem Beichtenden ein Gefühl der Erleichterung gebe, wenn er seine Sünden vor den Ohren eines Priesters aussprechen könne und dann durch dessen Absolution von der Last der Sünde und Schuld befreit werde. Sicher kann man so eine gewisse Erleichterung erleben, aber es ist lediglich eine vorübergehende Gefühlsbewegung ohne bleibende Wirkung.
Später war ich selbst über einen Zeitraum von 5 Jahren römisch-katholischer Priester. Das mag als eine kurze Zeit scheinen, aber es war lang genug, um eine ganze Menge über die Beichte und den Beichtstuhl zu lernen. Ich hörte viele Beichten ab, und einige der Leute kannte ich persönlich. Von einigen wusste ich, dass sie zutiefst ehrlich waren und sich sehr danach sehnten, von gewissen hartnäckigen Sünden und Lastern frei zu werden. Aber zu ihrer eigenen Enttäuschung mussten sie Woche um Woche kommen und dieselben Sünden bekennen, derer sie sich doch schämten und die sie hassten. „Warum komme ich nicht los davon?“, fragten sie besorgt. Meine Pflicht als Beichtvater war es, ihnen Frieden zu spenden, aber ich konnte ihnen nie eine überzeugende Gewissheit vermitteln und dies konnte auch kein anderer an meiner Stelle tun.
Lebendiges Wasser
Immer wieder denke ich an die wunderschöne Begebenheit, als Jesus am Jakobsbrunnen die Frau von Samaria traf. Dort finden wir die wahre Antwort für dürstende Seelen. Wenn man jedoch Menschen auffordert, zur Stillung ihres geistlichen Durstes zum Priester zu gehen, so ist dies eine Irreführung, denn dort werden sie niemals die echte Antwort finden können. „Jesus antwortete und sprach zu ihr: Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten.“ Der Beichtstuhl der römisch-katholischen Kirche ist wie das Wasser des Jakobsbrunnens. Es ist Wasser, das nur vorübergehend erfrischen kann. Dann sagte Jesus: „Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle von Wasser werden, das bis ins ewige Leben quillt“ (Johannesevangelium 4,13-14).
Wir sehen hier, dass die wahre Quelle bleibender Erfüllung der Herr Jesus Christus selbst ist, der die verborgenen Bedürfnisse jedes einzelnen Sünders kennt und jedem das Wasser geben kann, das seinen Durst stillt. Jesus sagte auch: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken!“ (Matthäusevangelium 11,28). Diese Einladung kommt direkt aus dem Herzen Gottes. Kein Priester, kein Bischof oder Papst der römisch-katholischen Kirche kann je diesen inneren Frieden, den er selbst nicht besitzt, vermitteln. Und so bleiben die Menschen solange durstig, schwer beladen und hilflos, bis Gott selbst ihnen Erquickung schenkt. Erst dann wird das, was Gott ihnen gibt, zu einem Strom werden, der den Brunnen anfüllt und Segen über Segen fliessen lässt, und sie mit der Gewissheit des ewigen Lebens erfüllt.
Verunsicherung vor der Priesterweihe
Bei meiner eigenen Suche stiess ich dann unerwartet auf ein persönliches Problem. Auf einmal dachte ich daran, die Berufung zum Priesteramt aufzugeben, verwarf dies aber sogleich wieder als eine entsetzliche Versuchung. Ich befand mich mittlerweile im letzten Jahr meines Theologiestudiums und war schon fast bereit, die Priesterweihe zu empfangen. Ich dachte auch an die Familienehre, denn in einem römisch-katholischen Land wird es als Ehre und grosses Vorrecht angesehen, einen Priester in der Familie zu haben. Ich wusste, dass meine Eltern und Freunde sich schon alle darauf freuten, mich als Priester die erste Messe feiern zu sehen. Heute halte ich diese Einwände für bedeutungslos, da ich jedoch damals den Herrn Jesus Christus noch nicht als meinen Retter und Herrn kannte, fehlte es mir an der nötigen Kraft, um für meine persönlichen Überzeugungen auch einzutreten.
Und so liess ich mich zum Priester ordinieren. Anschliessend wurde mir eine Stelle als verantwortlicher Vikar in einer Pfarrei zugewiesen. Ich begann meinen Dienst mit Freude und Eifer und hatte auch einigen Erfolg, wodurch ich meine alten Zweifel ein Stück beiseite schieben konnte. In der Pfarrei lebte ich in einem neuen Umfeld und einer anderen Gegend und empfand eine gewisse Freiheit, die ich als Student nicht gekannt hatte. So erlaubte ich mir, die Bibel und andere, von der Kirche verbotene Bücher zu lesen. Später, als Pfarreipriester, diskutierte ich mit vielen Menschen über religiöse Fragen.
Wachsende Zweifel
Eines Tages hatte ich ein sehr persönliches Gespräch mit einem Franziskanermönch. Was er mir sagte, erschütterte mich. Ich merkte, dass ihn die gleichen Zweifel in bezug auf die Sicherheit des ewigen Heils quälten wie mich. Ich begann mich zu fragen: Wenn die römischkatholische Kirche die wahre Kirche Christi ist, wie kann es dann sein, dass einer ihrer besten Diener, ein integrer, disziplinierter, vorbildlicher Mann, nicht weiss, ob er nun errettet oder verloren ist und eine solch tiefe geistliche Verunsicherung zu durchleiden hat? Meine eigenen Zweifel flammten wieder auf und ich fiel in eine weitere geistliche Krise, die aber letztendlich zu meiner Befreiung führte.
Als unmittelbare Folge dieser Erschütterung wurden mir die Messe, der Beichtstuhl und andere priesterliche Pflichten zu einer grossen Belastung. Über einen gewissen Zeitraum versuchte ich, mich durch Vergnügungen abzulenken. Ich verlor zunehmend mein Pflichtbewusstsein und fiel zu meiner Schande in eine völlig weltliche Lebensweise. Was ich eigentlich brauchte, war nicht Ablenkung, sondern Reinigung, nicht Vergnügung, sondern geistliche Erneuerung. Ich brauchte Jesus Christus. War die Kirche imstande, mich zu dem zu führen, der mich aus meiner verzweifelten Situation befreien konnte? Nein, Rom konnte nur sein kanonisches Strafrecht anwenden und schickte mich deshalb für eine Woche in ein Kloster. Doch diese Behandlung war der Krankheit nicht angemessen. Immer noch kämpfte ich ganz allein einen scheinbar verlorenen Kampf.
Gottes Licht
Doch eines Tages offenbarte mir ein göttlicher Lichtstrahl, wie dunkel es tatsächlich in meinem Herzen war. Was sollte ich tun? Ich beschloss, meine Pfarrei und meine Eltern zu verlassen und nach Rom zu gehen. Ich wusste zwar nicht genau, was ich dort sollte, und kannte auch niemanden, den ich um Hilfe hätte bitten können. Doch schon am ersten Tag entdeckte ich eine ‚Methodistisch Bischöfliche Kirche’ und konnte mit dem dortigen Pfarrer sprechen. Ich öffnete mein Herz und schilderte ihm meine verzweifelte Situation. Allerdings musste ich schnell feststellen, dass es nicht ganz so einfach war, die römischkatholische Kirche zu verlassen, wie ich mir das vorgestellt hatte.
Der schriftliche Fluch über konvertierte Priester
Das Hindernis lag in einem Beschluss der Lateransynode von 1929. Im Artikel 5 §2 des Konkordats ist festgelegt, dass abgefallene Priester oder unter Kirchenstrafe stehende Personen unter keinen Umständen als Lehrer angestellt werden oder eine solche Arbeit weiterführen dürfen. Ebensowenig dürfen jene eine Stelle als Beamte innehaben, bei der sie in direktem Kontakt mit der Öffentlichkeit stehen.
Das bedeutete, dass ich entweder auf jede Art öffentlichen Lebens verzichten oder mein Land, meine Familie und alles, was mir lieb war, verlassen musste. Das letztere war ein unermesslich grosses Opfer, aber ich bekam die Kraft dazu und Gott öffnete mir auf ganz erstaunliche Weise die Türen. Der Methodistenpfarrer hatte mich mit Professor E. Buonaiuti bekannt gemacht, einem ehemaligen römisch-katholischen Priester, der auch aufgrund des Lateranbeschlusses seine Stellung als Dozent der vergleichenden Religionswissenschaften aufgeben musste und unter kanonischer Strafe stand. Dieser Mann nahm mit protestantischen Organisationen in der Schweiz, Frankreich und Deutschland Kontakt auf und versuchte, für mich einen Zufluchtsort zu finden.
In Seinem Licht sehen wir das Licht
Wochen und Monate vergingen, ohne dass sich etwas abzeichnete. Dann brachte Gott einen weiteren ehemaligen Priester ins Spiel, Pfr. Casella, der jetzt in einer Kirchengemeinde in Nordirland arbeitete. Dabei handelte es sich offenbar um eine besondere Führung Gottes. Weil er eine Frage zu einem Buch hatte, schrieb nämlich Dr. Casella einen Brief an Professor Buonaiuti, und erwähnte darin auch, dass er dank einer evangelischen Gemeinschaft in Dublin, der ‚Priest‘s Protection Society’ (Gesellschaft zum Schutz von Priestern) den Ausstieg aus der römisch-katholischen Kirche geschafft hatte. In seinem Antwortbrief berichtete ihm Professor Buonaiuti auch von meinem Fall und dank diesem Kontakt konnte die letzte Etappe meiner Reise beginnen.
Die ‚Priest‘s Protection Society’ kam mir zu Hilfe und ermöglichte mir, am Trinity College in Dublin eine umfassende Ausbildung in evangelisch-reformatorischer Lehre zu erhalten. Die Finanzierung übernahm die ‚Irish Church Missions’. An dieser Stelle möchte ich der ‚Priest‘s Protection Society’ meine tiefe Dankbarkeit ausdrücken, dass sie es mir ermöglicht hat, aus der Dunkelheit Roms heraus und hin zum hellen Licht des Evangeliums zu gelangen.
Natürlich fiel es mir äusserst schwer, meine Eltern, Freunde und alles, was mir in Italien lieb und wert war, zu verlassen. Aber als ich mich entschloss, dem Ruf Gottes zu gehorchen und nicht der Stimme meiner alten Natur und der Welt, verwandelten sich alle meine Kämpfe in Frieden, und dies ganz besonders, seitdem ich das Ziel meiner geistlichen Suche erreicht hatte und von einem sündigen Lebensweg auf den Pfad der persönlichen Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus gelangt war.
Auch der ‚Irish Church Missions’ möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen, denn es war in ihren Räumlichkeiten in Dublin, wo man mich anleitete, Gottes Wort zu lesen und wo meine Augen für das Licht des Evangeliums geöffnet wurden. Der Prophet Jesaja sprach darüber, wo echte Gerechtigkeit, die Gottes Rechtsforderungen standhält, zu finden ist: „Nur in dem HERRN, wird man von mir sagen, habe ich Gerechtigkeit und Stärke!“ (Jesaja 45,24).
Und der Apostel Paulus belehrt uns darüber, dass das Mittel, um Gottes Gerechtigkeit zu empfangen, der Glaube ist: „Nun aber ist ausserhalb des Gesetzes die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, die von dem Gesetz und den Propheten bezeugt wird, nämlich die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus, die zu allen und auf alle kommt, die glauben. Denn es ist kein Unterschied …“ (Römerbrief 3,21-22).
Auch die sündige Natur eines jeden Menschen wird von Paulus detailliert beschrieben, ebenfalls die Tatsache, dass Gottes Gnade ohne jeden menschlichen Anspruch als freies Geschenk gewährt wird: „denn alle haben gesündigt und verfehlen die Herrlichkeit, die sie bei Gott haben sollten, so dass sie gerechtfertigt werden ohne Verdienst durch seine Gnade aufgrund der Erlösung, die in Christus Jesus ist“ (Römerbrief 3,23-24).
Aus lauter Gnade hat Gott mir gegeben, was ich im Glauben annehmen durfte: den kompletten Austausch meiner Sündenlast gegen seine Gerechtigkeit. Wie der Apostel Paulus kann auch ich vertrauensvoll bekennen: „Ich achte alles für Schaden gegenüber der alles übertreffenden Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich
alles eingebüsst habe; und ich achte es für Dreck, damit ich Christus gewinne und in ihm erfunden werde, indem ich nicht meine eigene Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz kommt, sondern die durch den Glauben an Christus, die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens“ (Philipperbrief 3,8-9).
Mariano Rughi wurde in Italien geboren und wirkte nach seiner Bekehrung in Irland, England, den Vereinigten Staaten und am Ende seines Lebens auch in Kanada.