J.M.A. Hendriksen

Als ich noch in Rotterdam Priester war, hatte ich einmal eine Begegnung mit einem kräftigen, römisch-katholischen Seemann, der sich mit derben Sprüchen über das freitägliche Fleischverbot lustig machte. Ein Jahr später bat man mich dann, diesen Mann zu besuchen, weil er sehr krank war. Der Arzt sagte, er leide an unheilbarem Krebs. Als ich zu ihm kam, bat er mich zu meinem grossen Erstaunen, beichten zu dürfen, was ich ihm selbstverständlich gewährte, freute ich mich doch sehr über diese seine Bitte.

Die Lebensgeschichte, die ich dann zu hören bekam, war eine der schlimmsten, die ich je gehört hatte. Der Mann hatte sein Leben gründlich verpfuscht. Das schlimme Umfeld, in dem er aufgewachsen war und die katastrophalen Umstände seines späteren Lebens hatten das Ihre dazu beigetragen. Als er mich während seines Erzählens fragte, ob nicht auch ich meine, dass er ein besonders schlechter Mensch sei, konnte ich nur antworten: „Nein, denn wenn ich in deiner Haut gesteckt hätte, wäre ich wohl weitaus tiefer gefallen.“

Mit Erstaunen stellte ich im Lauf unseres Gesprächs fest, dass von der ‚Hol-mich-der-Teufel‘-Mentalität, die dieser Seemann noch voriges Jahr an den Tag gelegt hatte, nicht mehr viel übrig geblieben war. Es war ergreifend, wie sehr er seinen Lebensweg bereute. Hatte Jesus Christus das Herz dieses hartgesottenen Menschen am Ende seines Lebens berührt, wie er es beim Schächer am Kreuz getan hatte?

Weil der Seemann nach Einschätzung des Arztes nicht mehr lange zu leben hatte, ging ich ihn nach wenigen Tagen erneut besuchen. Er war dem Sterben nahe. Ich fragte ihn, ob wir vielleicht nochmals gemeinsam um Vergebung bitten wollten für alles, was er in seinem Leben falsch gemacht habe. „Das habe ich doch bereits getan“, war seine Antwort, und als ich dasass und ihn anschaute, fügte er hinzu: „Bitte, Pater, hören Sie: Wenn eines meiner Kinder mich beleidigt hätte und mich um Vergebung bitten würde, und ich ihm daraufhin sagte, es sei alles in Ordnung, dann müsste es mich doch nicht nach ein paar Tagen noch einmal darum bitten. Selbst ich als Vater würde so handeln. Und der liebende Gott im Himmel ist ein besserer Vater als ich.“

Welch ein Glaube! Wie konnte dieser harte Kerl am Ende seines Lebens so kindlich glauben und sich der Vergebung seiner Schuld und seiner Errettung so sicher sein? Am nächsten Tag starb er in völligem Frieden. Er erhielt kein kirchliches Begräbnis, seine Familie wollte es nicht. Aber mir war klar: Am Ende meines Lebens würde ich lieber in den Stiefeln dieses Seemanns stecken als in den Schuhen vieler, die ich feierlich kirchlich beerdigt hatte. Und so denke ich auch heute noch.

Mein Austritt aus der römisch-katholischen Kirche

Bald danach gab es in meinem Leben grosse Veränderungen. Ich wurde von Rotterdam nach Amsterdam versetzt. Eigentlich war es eine Beförderung; aber mein innerer Konflikt mit Praxis und Lehre der römischen Kirche war im Lauf der Zeit so unerträglich geworden, dass ich mich bald einmal gezwungen sah, den Dominikanerorden und die römisch-katholische Kirche zu verlassen. Von meinem Glauben war – weil ich sehr materialistisch eingestellt war – sowieso nicht allzu viel übrig geblieben. So bat ich im November 1955 um Dispensation, also um die Erlaubnis zum Austritt aus dem Orden, die ich auch erhielt. Zum Austritt aus der Kirche erhielt ich natürlich keine Erlaubnis!

Ich zog dann nach Den Haag, wo ich ein ganz anderes Leben begann. Durch die Vermittlung eines einflussreichen Herrn wurde ich Verwalter eines Rotterdamer Hotels. Das war allerdings etwas anderes als das, was ich als Priester gewohnt war! Seelisch und geistlich fühlte ich mich völlig leer. Ich vermied alles, was religiöse Gefühle in mir weckte, wollte mich ganz von meiner Vergangenheit befreien und so wenig wie möglich daran zurückdenken. Fast hätte ich es geschafft. Aber jenen Seemann konnte ich nicht vergessen.

Von meinem römisch-katholischen Glauben war wenig übrig geblieben. Ich betrat nur selten eine Kirche. Die römisch-katholische Kirche hatte mich enttäuscht und die meisten protestantischen Gottesdienste langweilten mich, weil die Predigten so schwerfällig, starr, trocken und traditionsgebunden waren, mir keine neuen Impulse gaben und dahinter wenig persönliche Überzeugung und Begeisterung steckte. Die meisten der protestantischen Predigten, die ich mir anhörte, machten auf mich den Eindruck von mehr oder weniger gelungenen, persönlichen oder theologischen Abhandlungen über das Evangelium, aber keine einzige war geprägt von innerer Überzeugung und der Verkündigung des Evangeliums. Vor allem der Stil der Predigten befremdete mich, und der Umstand, dass sie abgelesen wurden. Zudem traf ich zweimal auf liberale Pfarrer, deren verschwommene Botschaften mich abschreckten. So verlor ich jedes Interesse an der Kirche. Aber jenen Seemann konnte ich nicht vergessen.

Nach drei Jahren wechselte ich von meiner Arbeit im Hotel, für die ich völlig ungeeignet war, zu einer Anstellung als Lehrer für alte Sprachen. Eine der Schulen, an denen ich unterrichtete, war eine christliche Mittelschule in Den Haag. Dort kam ich ganz ungesucht auch mit gläubigen Kollegen in Kontakt. Ich kann nicht behaupten, dass jeder von ihnen ein überzeugendes Christsein vorlebte, doch es gab einige, die ihr Leben bewusst nach christlichen Überzeugungen gestalteten und die Freiheit und Freude von Kindern Gottes ausstrahlten. Ohne es zu wollen, begann ich sie zu beobachten, was eine gewinnbringende Erfahrung werden sollte.

Die Bibel beginnt mich zu faszinieren

Jeden Morgen musste ich den Schülern zu Beginn des Unterrichts einen kurzen Abschnitt aus der Bibel vorlesen. Zu meinem eigenen Erstaunen bekam ich immer mehr Freude daran. Das Wort Gottes begann mich wie nie zuvor zu packen und zu faszinieren. Bald las ich für mich selbst weit mehr als die vorgeschriebenen Bibelabschnitte während der Schulstunden. Zudem las ich auch Kommentare bekannter Bibellehrer. Manche dieser Bücher waren aufschlussreich und mutmachend, aber die meisten fand ich schwerfällig und trocken. Ich ärgerte mich, vertrat ich doch keineswegs die Ansicht, man könne die Bibel nur mit Hilfe von Gelehrten verstehen. Der Kämmerer aus Äthiopien wurde weder durch einen Professor noch durch einen ordinierten Geistlichen in das Verständnis des Jesaja-Abschnittes eingeführt, sondern durch Philippus, einen Diakon, d.h. einen Diener!

„Da tat Philippus seinen Mund auf und begann mit dieser Schriftstelle und verkündigte ihm das Evangelium von Jesus“ (Apostelgeschichte 8,35). Und Philippus predigte auf eine derartige Weise, dass der Mann an Christus gläubig wurde, sich taufen liess und voll Freude seines Weges zog.

Das Lesen jener Kommentare bewirkte bei mir jedoch nicht, dass ich voller Freude weiterzog. Im Gegenteil, oft wurde dadurch die Freude, die ich aufgrund der wunderbaren Botschaft von Gottes Liebe und Erbarmen bereits hatte, sogar gedämpft. Und so blieb nicht allzu viel von den vielen klugen Schriften, die ich über die Bibel las, bei mir hängen. Aber jenen Seemann konnte ich nicht vergessen.

Je mehr ich die Bibel las, desto deutlicher wurde mir, warum ich ihn nicht vergessen konnte. Dieser Mann hatte zum wahren Glauben gefunden. Dies konnte ich, obwohl ich früher eine grosse Anzahl theologischer Lehrsätze als religiöse Wahrheit akzeptiert und eine führende Position in der Kirche innegehabt hatte, von mir nicht behaupten.

Zu dieser Schlussfolgerung gelangte ich durch das Lesen der Heiligen Schrift. Es gab eine Zeit, da meinte ich, Glaube bestehe darin, die Autorität eines anderen (z.B. der Kirche) zu akzeptieren und verstandesmässig eine gewisse Anzahl von Wahrheiten zu bejahen (z.B. die Existenz Gottes, die Existenz von Himmel und Hölle, die Wirkung der Sakramente, usw.). Die Bibel belehrte mich jedoch darüber, dass dies nicht das ist, was echten Glauben ausmacht. Wenn dem so wäre, dann wäre auch der Teufel ein Gläubiger, denn auch er glaubt, dass Gott existiert (Jakobusbrief 2,19). Rettender Glaube ist jedoch etwas völlig anderes.

Abraham glaubte Gott

Gemäss der Heiligen Schrift ist Glaube mit Vertrauen identisch. Die Bibel nennt Abraham den Vater aller Glaubenden, weil er Gott und Gottes Wort vertraute, auch wenn er Gottes Aussagen mit seinem Verstand nicht begreifen konnte. „Und er empfing das Zeichen der Beschneidung als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, den er schon im unbeschnittenen Zustand hatte, damit er ein Vater aller unbeschnittenen Gläubigen sei, damit auch ihnen die Gerechtigkeit angerechnet werde“ (Römerbrief 4,11).

Als Abraham und seine Frau zusammen bereits ca. 200 Jahre alt waren, machte Gott ihnen die Zusage, dass sie ein Kind bekommen würden. Biologisch gesehen erschien dies völlig unglaubwürdig, aber Abraham vertraute darauf, dass Gott sein Wort erfüllen würde.

Und genauso war es auch bei dem Seemann. Er wusste überhaupt nichts von formaler Theologie und war kaum je in der Kirche gewesen, aber am Ende seines Lebens war er ein Gläubiger, der wusste, dass Gott sein Vater war, dass seine Sünden vergeben waren, und dass er nun zu einem Kind Gottes geworden war. Und in diesem felsenfesten Vertrauen rief er auf seinem Sterbebett ‚Abba Vater‘.

Ich glaube Gott

Bald nachdem ich durch das Lesen der Bibel verstanden hatte, was Glaube wirklich ist, bekam ich eine ganz andere Beziehung zu dieser Heiligen Schrift. Ich kam nicht umhin, mich ihr zu unterwerfen und dem Herrn zu vertrauen. In einem Moment, den ich nie vergessen werde, konnte ich dann von ganzem Herzen zu Gott ‚Abba Vater’ rufen. Nun gehörte auch ich zu Gottes Kindern. Alles was die Heilige Schrift über Gläubige sagt, und all ihre Verheissungen erkannte ich als absolut vertrauenswürdig. Zudem konnte ich schon jetzt und nicht erst in ferner Zukunft ewiges Leben haben. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der hat ewiges Leben“ (Johannes 6,47).

Sorge und Freude

Plötzlich bekam ich ein Bewusstsein meiner vielen Sünden und konnte die Traurigkeit darüber nicht zurückhalten. Diese Haltung der Busse war jedoch auf unerklärliche Art und Weise mit einer überströmenden Freude und der Gewissheit gepaart, durch das Blut Jesu von der ewigen Verdammnis gerettet und nun auf immer ein Kind Gottes zu sein. Es ist einfach unmöglich, dies jemandem, der nie diese Gewissheit kennengelernt hat, zu beschreiben. Nachdem mein Leben diese umfassende geistliche Veränderung erfahren hatte, fühlte ich mich unsagbar glücklich, ein Zustand des Glücks, den ich noch immer empfinde. Deshalb ist es auch mein Wunsch, dass noch viele, viele andere Menschen diese gleiche Freude erleben, wofür ich auch tagtäglich bete.

„Auch uns, die wir tot waren durch die Sünden, [hat Gott] mit Christus lebendig gemacht“ (Epheserbrief 2,5). Du und ich, wir gehören zu denen, die zum Tod verurteilt waren! Wir hätten es verdient, vor unserer endgültigen Verdammung an diesem Kreuz auf dem Hügel Golgatha zu hängen. Doch Jesus nahm dort unseren Platz ein, er litt und starb, um uns vor dem ewigen Tod zu retten, um uns zu Heiligen zu machen und uns jetzt und in alle Ewigkeit zu segnen. Diese so tief beeindruckende Botschaft von Gottes unendlicher Liebe ist das Herzstück der ganzen Bibel, diesem einzigartigen Buch mit seiner einzigartigen Botschaft. Um diese wunderbare, hoffnungsbringende Botschaft von der Erlösung, Befreiung und dem ewigen Leben unverkürzt weiterzusagen, wurde ich Prediger.

Nur Christus

Über fünfzehn Jahre bin ich ein Mönch gewesen, aber wie bedeutsam dieser Stand in den Augen der Menschen auch sein mag, in ihm war es für mich nicht möglich gewesen, Frieden und Glück zu finden. Ohne die Gewissheit der Sündenvergebung und der Gotteskindschaft konnte ich nicht glücklich und in Frieden leben, und könnte dies auch heute nicht. Die römisch-katholische Kirche war nie imstande, mir diese Gewissheit zu geben, nicht einmal als ich Priester und Mönch war. Die römisch-katholische Kirche hat mich das, was dazu nötig ist, nicht gelehrt. Sie lehrte mich nicht, dass die Errettung allein von Gottes Erbarmen abhängt, und von der menschlichen Seite aus betrachtet allein der Glaube an das vollbrachte Werk Jesu Christi erforderlich ist, und dass beides nur in der Heiligen Schrift gefunden werden kann.

„Ich freue mich sehr in dem HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir Kleider des Heils angezogen, mit dem Mantel der Gerechtigkeit mich bekleidet“ (Jesaja 61,10).


Nach seiner Bekehrung hat Bruder Hendriksen noch viele Jahre als Prediger und Lehrer gearbeitet. Unterdessen (2006) ist er 92 Jahre alt und lebt in Zwolle, in den Niederlanden.

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